30 Jahre Lebenshilfe Pirna-Freital-Sebnitz e.V.

Seit der Gründung des heutigen Lebenshilfe Pirna-Sebnitz-Freital e.V. ist richtig viel geschehen. Ursprünglich wurden drei Kreis-Vereine gegründet und schlossen sich über die Jahre zusammen.

Vor 30 Jahren – wie alles begann

Als erster Lebenshilfe-Verein gründete sich nach der Wende in unserer Region am 20. Juni 1990 der „Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Sebnitz e.V.“ im damaligen Kreis Sebnitz. Unser 30jähriges Jubiläum ist eine gute Gelegenheit, das Rad der Geschichte 30 Jahre zurück zu drehen und mit unseren Gründungsmitgliedern über die alten Zeiten zu plaudern.

Am 3. Juni 2020 treffe ich mich mit Gründungsmitgliedern aus Neustadt, Sebnitz und Umgebung. Als ich in Polenz im Café Mikat ankomme, werde ich schon erwartet. Wir haben uns mit Abstand an mehreren Tischen verteilt und tauschen uns rege zu den aktuellen Themen in Sachen Corona aus. Am Ende kommen wir alle zu dem Ergebnis, sowas gab es in den 30 Jahren des Vereinsbestehens auch noch nicht.

Hier kann ich einhaken und meine sechs Gesprächspartner fragen: Wie war es denn vor 30 Jahren?

Erinnerungen werden wach und das Gespräch kommt in Gang. Sie erzählen von ihren Familien, von ihren Kindern mit geistiger und mehrfacher Behinderung, und von den Bedingungen vor und in den Zeiten der Wende. Ich merke schnell, dass sich vor der Wende das Leben in der ganzen Familie an den Bedürfnissen der behinderten Kinder ausrichten musste. Wenn kein Platz in einer Kindereinrichtung zu bekommen war, und das war oft der Fall, haben meist die Mütter ihre Arbeit aufgegeben um für ihre Kinder da zu sein. Dann kam die Schulzeit und um einen Platz in einer Hilfsschule zu bekommen, wurden die Kinder einem Aufnahme-Test unterzogen. Wer den Test nicht schaffte, musste wieder zu Hause betreut werden, kam zurück in die Kindertagesstätte oder in eine rehabilitationspädagogische Einrichtung. Das waren Einrichtungen für schulbildungsunfähige, aber förderfähige Kinder. Für Kinder, die aus Kapazitätsgründen oder wegen ihrer Mehrfachbehinderung nicht in einer solchen Einrichtung aufgenommen werden konnten, wurde zur gleichen Zeit mit der „Hausförderung“ begonnen.

Nicht für alle waren diese Angebote nutzbar. Eine Mutter berichtete, ihr Mann arbeitete zu dieser Zeit im 3-Schichtsystem und sie hatte gerade ihr Studium begonnen und wollte dieses unbedingt abschließen. Ihnen blieb nichts Anderes übrig, als ihr Kind in ein Heim zu geben.

Später konnten einzelne Jugendliche, die in der Lage waren den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, in einer geschützten Betriebsabteilung eines Sebnitzer Betriebes arbeiten. Zuständig war die Abteilung Gesundheitswesen beim Rat des Kreises. Die meisten Jugendlichen blieben jedoch zu Hause und machten Heimarbeit.

Aus finanziellen Mitteln des Landratsamtes – als Nachfolge des Rates des Kreises Sebnitz und damals noch Träger der Behindertenwerkstatt – wurde ein Trabi angeschafft. Damit konnten die Angestellten nicht-mobile junge Menschen mit Behinderung von zu Hause abholen und diese wieder in einer Gemeinschaft tätig werden.

Von 1979 bis 1989 hatten sich also in der DDR feste Strukturen und Angebote für Menschen mit geistiger Behinderung, die mobil waren, etabliert. Auch die gesundheitliche Betreuung wurde verbessert. Dennoch blieben viele Probleme ungelöst. Fördereinrichtungen verfügten über keinen Fahrstuhl, Toiletten waren nicht Rollstuhl-gerecht, nicht-mobile Menschen konnten die Strukturen kaum nutzen. Oft übernahmen Eltern das Bringen und Holen.

Viele Eltern fragten sich aber nach wie vor: „Was wird später aus meinem Kind, wenn wir nicht mehr für es sorgen können?“ Für viele war die Alternative „Heim“ keine Lösung, eher ein Alptraum.

Die Wende war für alle Beteilgten ein großes Glück. Zu Beginn des Jahres 1990 sprachen viele Eltern die Verbesserung der Förderung ihrer geistig und mehrfachbehinderten Kinder und Jugendlichen an. Eine „Initiativgruppe der Eltern und Freunde geistig Behinderter“ des Kreises Sebnitz unter der Leitung von Herrn Grundmann, dem damaligen Leiter der Zentralhilfsschule und selbst Vater einer behinderten Tochter, sah im Verein „Lebenshilfe für geistig Behinderte e.V.“ in der Bundesrepublik Deutschland eine Möglichkeit, die dringenden Anliegen zu formulieren und umzusetzen.

Motiviert durch die Gründungsveranstaltung des Lebenshilfe DDR e.V. am 7. April 1990 in Berlin, an der Herr Beger als betroffener Vater teilnahm, wurden die speziellen Ausgangssituationen, die Zielstellungen und die nächstfolgenden Aufgaben der Initiativgruppe konkretisiert. Am 20. Juni 1990 wurde der „Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Kreis Sebnitz e.V. in Neustadt gegründet. Der junge Verein hatte 47 Mitglieder, fast alle davon waren Eltern von Kindern mit geistiger und/oder mehrfacher Behinderung. Vorstandsvorsitzender wurde Herr Beger.

Von Anfang an arbeitet der Vorstand des Vereins mit den Pädagogen, die in der Fördereinrichtung und der späteren G-Schule zum Wohle von behinderten Kindern tätig waren, eng zusammen.

Am 1. April 1991 übernahm der noch junge Verein die geschützte Werkstatt in seine Trägerschaft und am 9. April 1991 wurde die Werkstatt für Behinderte (WfB) erstmalig mit 60 Plätzen als „WfB im Aufbau“ vorerst befristet bis zu 31.12.1992 durch die Bundesanstalt für Arbeit anerkannt. Durch die enge Zusammenarbeit mit der Werkstatt für Behinderte in Bischofswerda konnte die vorgeschriebene erforderliche Mindestanzahl von 120 betreuten Mitarbeitern erreicht werden.

Gleichzeitig entwickelte sich eine intensive Zusammenarbeit, ja sogar Freundschaft, zur Lebenshilfe Amberg-Sulzbach in der Oberpfalz, die sich auf Initiative von Herrn Beger entwickelte. Die bayrische Lebenshilfe Amberg-Sulzbach unterstützte mit viel „WfB- Erfahrung“, Arbeitsaufträgen und schenkte sogar zwei VW-Busse für alle möglichen Transporte.

Im Juni 1992 wurde der Aufbau eines Fahrdienstes für Behinderte und die Einrichtung von neun Plätzen „betreutes Wohnens“ in den Räumen das Altenpflegeheimes auf der Erberstraße 1 vom Kreistag beschlossen.

Am 20. Juni 1994 erklärten der Lebenshilfen Kreisverband Pirna e.V. und Kreis Sebnitz e.V. den Zusammenschluss zur "Lebenshilfe Pirna-Sebnitz e.V." vor dem Hintergrund der bevorstehenden Kreisreform.

Am 1. Juli 1994 übernahm der Verein die Trägerschaft der Wohnstätte Erberstraße 1 in Neustadt, baute in den Folgejahren und eröffnete am 26. November 1996 die noch heute genutzte Wohneinrichtung auf der Berthelsdorfer Straße in Neustadt. Damit erfüllte sich der Wunsch vieler Eltern, die nun ihre Kinder im eigenen Verein gut betreut wussten.

Die folgenden Jahre waren durch regelmäßige Erweiterungen der WfB und Umzüge in größere Räume geprägt.

Alle verfolgten eine große Vision – eine neue moderne Werkstatt für Behinderte:

  • ein großes Grundstück, auf dem die neue Werkstatt wachsen kann
  • neue barrierefreie Gebäude mit hellen und freundlichen Räumen
  • mindesten 120 gut ausgestattete Arbeitsplätze
  • gemütliche Räume für Pausen und Erholung
  • zweckmäßige Sanitärbereiche

Durch großes Engagement des damaligen Vorstandsvorsitzenden des „Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Sebnitz e.V, Herrn Beger, und vieler beteiligter Eltern war dieses Ziel im Jahr 1999 erreicht.

Die „Hohwald-Werkstätten“ konnten am 1. Juli 1999 auf der Heinrich-Hertz-Straße 2 in Neustadt feierlich eröffnet werden und wurden seither kontinuierlich weiter entwickelt.

Die beiden Schrittmacher des Lebenshilfe-Vereins in Sebnitz, Herr Grundmann und Herr Beger, sind inzwischen leider verstorben. Andere Gründungsmitglieder haben das direkte Wirkungsfeld altersbedingt in andere Hände gegeben. Junge und kompetente Fachkräfte sind an ihre Stelle getreten und führen ihr Lebenswerk fort.

Unser gemeinsamer Rückblick führt uns zum Schluss: Alle Mühen und jeder Einsatz haben sich gelohnt - wir sind stolz auf unser Erreichtes!

Martina Seifert

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